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Vereinbarung des Freistaats Sachsen mit
den Evangelischen Kirchen im Freistaat
Sachsen zur Regelung der seelsorgerischen
Tätigkeit in den Justizvollzugsanstalten

Vom 25. Januar 1993

(ABl. EKKPS 1994 S. 97)

Der Freistaat Sachsen,
vertreten durch den Sächsischen Ministerpräsidenten,
dieser vertreten durch den Sächsischen Staatsminister der Justiz
und
die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens,
vertreten durch das Landeskirchenamt,
die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes,
vertreten durch die Kirchenleitung,
die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen,
vertreten durch die Kirchenleitung,
haben zur Regelung der seelsorglichen Tätigkeit der Kirchen in den Justizvollzugsanstalten des Freistaates Sachsen die folgende Vereinbarung abgeschlossen:
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Artikel 1

( 1 ) Die Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten bildet einen Teil der den Kirchen obliegenden allgemeinen Seelsorge.
( 2 ) Die evangelische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten wird bis auf weiteres durch Pfarrer und Pastorinnen im Nebenamt – im Folgenden Anstaltspfarrer genannt – wahrgenommen.
( 3 ) Die Freiheit der Verkündigung und das Beicht- und Seelsorgegeheimnis werden gewährleistet.
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Artikel 2

( 1 ) Der Anstaltspfarrer steht im Dienst seiner Landeskirche.
( 2 ) Er untersteht gemäß den Bestimmungen des Pfarrerdienstrechts der Dienst-, Lehr- und Disziplinaraufsicht seiner Landeskirche. Der Anstaltspfarrer ist verpflichtet, die für den Vollzug geltenden Vorschriften und Anordnungen zu beachten. In allen dienstlichen Belangen hat er Verschwiegenheit zu wahren, auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses als Anstaltspfarrer.
( 3 ) Der Anstaltspfarrer ist in seelsorglichen Angelegenheiten in seinem Dienst frei. Er hat für die Dauer seiner Tätigkeit innerhalb der Anstalt grundsätzlich die gleichen Rechte wie die Vollzugsbediensteten. Er arbeitet mit den im Vollzug Tätigen zusammen und nimmt an den Dienstbesprechungen und allgemeinen Beamtenkonferenzen teil. Bei Maßnahmen der Anstaltsleitung, die die Belange seines Dienstes berühren, ist er vorher zu hören.
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Artikel 3

( 1 ) Zu den Rechten des Anstaltspfarrers gehören die Inanspruchnahme aller Einrichtungen und die Veranlassung organisatorischer Maßnahmen, die geeignet und erforderlich sind, seine Aufgaben gemäß dieser Vereinbarung zu erfüllen.
( 2 ) Der Anstaltspfarrer hat Anspruch auf die Bereitstellung der für die Ausübung seines Dienstes nötigen Räume (gottesdienstlicher Raum und Dienstzimmer). Die Planung, Gestaltung und Einrichtung von Gottesdiensträumen in einer Justizvollzugsanstalt erfolgen durch den Freistaat Sachsen im Einvernehmen mit den Kirchen.
( 3 ) Der Anstaltspfarrer kann im Einvernehmen mit dem Anstaltsleiter freiwillige Helfer, unterstützende Gruppen sowie Seelsorger und Seelsorgehelfer für seinen Dienst in der Justizvollzugsanstalt hinzuziehen. Dies gilt auch für Dolmetscher.
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Artikel 4

( 1 ) Der Anstaltspfarrer hat im wesentlichen folgende Aufgaben:
  • Abhaltung regelmäßiger Gottesdienste,
  • Einzelseelsorge einschließlich der Zellenbesuche und Aussprache mit den einzelnen Gefangenen,
  • Abnahme der Beichte und Spendung der Sakramente,
  • Durchführung kirchlicher Kasualhandlungen,
  • Angebot von Gruppenarbeit, Kursen und Unterweisungsstunden,
  • Beteiligung bei Besuchen und Begleitung bei Ausführung von Gefangenen in seelsorglich begründeten Fällen,
  • besondere Krankenseelsorge bei Krankheitsfällen innerhalb der Vollzugsanstalt,
  • seelsorgliche Beratung und seelsorglicher Beistand auch für die Angehörigen der Gefangenen in Partnerschafts-, Ehe- und Familienangelegenheiten,
  • Mitwirkung bei der Behandlungsuntersuchung der Gefangenen, bei der Aufstellung, Durchführung und Änderung des Vollzugsplanes sowie bei der Freizeitgestaltung der Gefangenen,
  • Möglichkeit zur Äußerung in Gnadensachen und in den zur Entlassung von Gefangenen führenden Verfahren,
  • Mitwirkung und Beratung bei der Wiedereingliederung der Gefangenen,
  • Mitwirkung bei der sozialen Hilfe für die Gefangenen und ihre Familien,
  • beratende Mitwirkung bei der Anschaffung von Büchern für die Gefangenenbücherei und einvernehmliche Mitwirkung bei der Anschaffung und Ausgabe religiöser Bücher und Schriften,
  • Angebot der Seelsorge an Mitarbeitern des Justizvollzugs, unbeschadet der Zuständigkeit des Gemeindepfarrers,
  • Mitwirkung bei der Weiterbildung der Mitarbeiter im Justizvollzug,
  • Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit in der Gesellschaft und Kirche.
( 2 ) Die Aufgaben und Rechte des Anstaltspfarrers aus dieser Vereinbarung bzw. der Dienstordnung erstrecken sich auch auf Inhaftierte, die nicht dem evangelischen Glauben angehören, jedoch seelsorgliche Betreuung durch einen evangelischen Anstaltspfarrer wünschen.
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Artikel 5

( 1 ) Der Anstaltspfarrer wird von der Landeskirche im Benehmen mit dem Staatsministerium der Justiz berufen.
( 2 ) Liegen Tatsachen vor, aus denen sich gegen die Person oder die Tätigkeit des Anstaltspfarrers schwerwiegende Bedenken gegen die Weiterführung seines Dienstes ergeben, und können diese nicht einvernehmlich zwischen dem Freistaat Sachsen, der Landeskirche und dem Anstaltspfarrer behoben werden, so kann der Freistaat Sachsen seine Abberufung verlangen.
( 3 ) Der betroffene Pfarrer hat das Recht, vor einer Entscheidung von der zuständigen kirchlichen Stelle und vom Staatsministerium der Justiz gehört zu werden.
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Artikel 6

( 1 ) Urlaubsgewährung und Dienstbefreiung des Anstaltspfarrers richten sich nach den Bestimmungen des Pfarrerdienstrechts.
( 2 ) Der Anstaltspfarrer ist verpflichtet, an seinen Dienst betreffenden Weiterbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Er hat das Recht, an kirchlichen Veranstaltungen, Kursen und Tagungen, die mit seinem Dienst in Verbindung stehen, in angemessenem Umfang ohne Anrechnung auf seinen Erholungsurlaub teilzunehmen.
( 3 ) Die Vertretung bei Abwesenheit und die Urlaubsvertretung regelt der Anstaltspfarrer nach Abstimmung mit seiner Landeskirche im Einvernehmen mit dem Anstaltsleiter. Die Krankheitsvertretung regelt die Landeskirche im Einvernehmen mit dem Anstaltsleiter.
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Artikel 7

Der Ersatz der Personal- und Sachkosten für die Tätigkeit der Anstaltspfarrer wird zwischen den Landeskirchen und dem Freistaat Sachsen im Rahmen einer besonderen Vereinbarung geregelt.
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Artikel 8

Die Landeskirchen sind berechtigt, im Rahmen ihrer Aufsicht (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1) im Benehmen mit dem Anstaltsleiter Visitationen in den Justizvollzugsanstalten durchzuführen.
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Artikel 9

( 1 ) Zweifels- oder Streitfragen sind zunächst zwischen dem Anstaltsleiter und dem Anstaltsseelsorger mit dem Ziel einer Klärung oder Einigung zu erörtern.
( 2 ) Über Beschwerden des Anstaltspfarrers gegen den Leiter der Anstalt unterrichtet das Staatsministerium der Justiz die Landeskirche und gibt ihr Gelegenheit, sich vor der Entscheidung zu äußern.
( 3 ) Das Staatsministerium der Justiz wird Beschwerden der Anstaltsleitung über die Tätigkeit eines Anstaltspfarrers unverzüglich an die Landeskirche weiterleiten.
( 4 ) Die Landeskirchen werden sich bemühen, Beschwerden im Gespräch mit dem Anstaltspfarrer im Beisein eines Vertreters des Staatsministeriums der Justiz zu klären. Die Gesprächsergebnisse sind in einer Niederschrift festzuhalten.
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Artikel 10

Die Vertragsschließenden werden zwischen ihnen eventuell entstehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Bestimmungen dieser Vereinbarung auf freundschaftliche Weise beseitigen.